Freundschaft plus

In der Sexualpädagogik lernen nicht nur die SchülerInnen, auch wir lernen ständig durch die Fragen der Kinder und Jugendlichen dazu.
Das ist der enorme Dank für ein Vertrauensverhältnis, das in manchen Gruppen und in wenigen Klassen entstehen kann, weil wir mit den Themen der Jungen, aber mit schul-fremden Verhaltensweisen kommen.

Was ist nun Freundschaft plus?

Es kam in einer Gymnasial-Klasse als Frage im Rahmen der Themen-Sammlung, ob wir dazu was wüssten / erzählen könnten, und schon lernten wir, denn wir hatten keine Ahnung, was gemeint sein könnte:

Mit Freundschaft plus ist unterden Jugendlichen gemeint, in einer Freundschaft miteinander Sex zu erproben und ergründen, obwohl man bewusst keine (monogame) Liebesbeziehung der bisherigen gesellschaftlichen Vorstellung haben möchte.

Ich war erstaunt, kennen wir doch als Haupt-Themen vieler Kinder und Jugendlicher die Frage: „Gehst du mit mir“ / Liebt er / sie mich? Er hat mich verlassen (von Jungs kam das noch nie) und die ganzen Fragen des eigenen „Marktwertes“ aus dem abwechslungsreichen oder langfristigen Beziehungsleben.

Die Begriffe oder Schimpfworte „Schwul“ und „Schlampe“ sind dabei eher nicht echte Zuschreibungen, auch wenn es oft so empfunden wird, sondern ein Ausdruck von Enttäuschung, Kränkung und Verletzung. Die Erwartungen sind zu hoch, die Antworten zu dürftig, die Moral ist nicht wirklich greifbar: Was haben wir uns versprochen?

Gleichzeitig fehlt verlässlicher Ausdruck oder Slang, denn die Frage oder Umschreibung „Willst du mit mir gehen?“ sagt nichts konkretes aus, außer der momentanen Monogamie als Besitzanspruch, aber nichts über die Bedingungen und Grenzen: Küssen und schmusen, fummeln oder gar Sex?

Je nach Alter und Umfeld werden bestimmte Erwartungen summiert, „mit Zunge“ oder ohne, mit „an die Brust streicheln dürfen“ oder nicht, und die Bewertung durch Dritte: „Der hat noch gar keine angefasst“ (ist er schwul, verbringt er seine Zeit nur mit Jungs?) bis zum anderen Extrem: „Die treibt es mit Jedem“, ist für jeden zu haben, eine Schlampe?

Freundschaft

hat für viele Jugendliche mehr zu bedeuten, als nur Beziehungs-Versuche

Für viele Kinder und Jugendliche ist eine Freundschaft der wichtigste Bezug außerhalb der Familie, mit oder ohne Geschwistern, eine Beziehung, in der anderes als das eigene Familienleben zu erfahren ist.

Freundschaft war schon seit Alters her und besonders in der Romantik die Möglichkeit, eine andere Beziehung als die familiäre zu erproben und die Freiheit darin zu genießen, sie unabhängig zu gestalten. Auch alle Erforschungen, wie fetisch-orientierte Erotik, homosexuelle Freundschaften und mehrfache Beziehungen sind unter diesem Stichwort zu Hause.

Freundschaft plus

ist eine Möglichkeit, sich in der Sicherheit einer Freundschaft den sexuellen Erfahrungen anzunähern, die der eigene Körper noch nicht kennt. Unter Jungs ist das eine ebenso alte Herangehensweise, früher als pubertäre Homosexualität eingeordnet, wie sie unter jungen Frauen als Vertrauen in der Entwicklung der eigenen Periode und in Fragen der Verhütung ausgetauscht wird.

Aber in einer gemischten Freundschaft?

Auch daran werden sich vielleicht einige Lesende erinnern, doch haben wir nie darüber gesprochen. Das waren die Reste der postfaschistischen Erziehung und die vermarktete romantische Liebe, die bis heute alle Hochzeiten umkleiden darf, und die niemand ungestraft in Frage stellen darf: Lieblos und unromantisch wären noch die mildesten Attribute, Beziehungs-Unfähigkeit und Gefühllosigkeit die härteren Urteile, und ein Ende der Freundschaften nahe.

Postfaschismus: Prägungen des „3.Reiches“

Die Kleinfamilie der Nazi-Propaganda wurde in den 1950er Jahren mit Häuschen bauen und Kühlschränken, Fernsehern und Autos endlich verwirklicht, die Hausfrau und Mutter hütete den Herd, bis eine Aufklärung und Befreiung im Lauf der 1960er Jahre auch in den Medien die ersten Scheidungen überlebbar machte, zuerst bei SchauspielerInnen, dann auch bei Politikern, bis dann die Berufstätigkeit, später dann die Forderung der Gleichberechtigung die Themen der Sexualität erreichten.

Das gab es als Bewegung schon einmal in den 1920er Jahren bis 1933: Frauenkreise, die mit Ärzten zusammen die Aufklärung der Jugendlichen und die Straffreiheit der Abtreibung betrieben, auch als skandalisierte Theaterstücke von Ibsen und Wedekind, …

Reden über Sexualitäten

Manche Eltern und auch Lehrkräfte erzählen uns von ihren Problematiken, mit den Kindern, die plötzlich schon so groß sind, über diese Dinge zu reden. Da sagt uns die Inzest-Sperre in der Psyche, dass die Kinder immer noch zu klein sind … und die fragen plötzlich, ob die Freundin, der Freund, übernachten kann. „Wir haben so viel zu besprechen …“

 

 

 

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